Schriftenreihe - Nr. 31

Der Pfarrer, der nie ein Mann der Kirche sein wollte

Autoren :

Gerd Laudert

Herausgeber und Verleger:

Verein für die Geschichte der Stadt Bacharach und der Viertäler e. V.
Postfach 1139
55419 Bacharach

Layout:

Gerd Laudert

Druck:

PSL Printservice Listl, 55411 Bingen

Erschienen

2015

Seiten

49

Preis:

3,00 EUR

Leseprobe

Das stille Diebachtal war damals, als ich in den 1950er und 1960er Jahren dort aufwuchs, noch kein Teil des UNESCO Weltkulturerbes Oberes Mittelrheintal; das so genannte "Viertälergebiet" bei Bacharach gehörte aber schon immer zu dem - auch dank Heinrich Heine - fast weltberühmten Tal der Loreley.

Ich wurde 1954 in Oberdiebach geboren. In den frühen 1970er Jahren engagierte ich mich gemeinsam mit anderen Jugendlichen aus dem Dorf und unter der Leitung von Pastor Hans Steffens in unserer Kirchengemeinde (in Sachen Kindergottesdienst, Gemeindebrief u.ä.).

Heute frage ich mich: Warum haben wir in dieser Zeit, soweit ich mich erinnern kann, nie etwas von einem "Fall Dungs" bzw. von einem Pfarrer Karl Dungs gehört, der von Mitte der 1960er bis Anfang der 1970er Jahre Pfarrer im Nachbardorf Manubach war?

Erst kürzlich erfuhr ich aus einem Buch über die Kirchengeschichte des Rheinlands: Dungs war nicht nur von 1933 bis 1946 als evangelischer Pfarrer ein entschiedener Anhänger der Deutschen Christen (DC) und NSDAP-Mitglied, er hielt auch - unbelehrbar, arrogant und starrsinnig - bis zu seinem Lebensende (er starb 1972 in Oberwesel) an seinen nationalsozialistisch geprägten, völkisch-rassistischen Überzeugungen fest.

Dieser Nazi-Pfarrer Karl Dungs, 1939-1945 u.a. Mitarbeiter des nationalkirchlichen "Entjudungsinstituts" in Eisenach, kam nach Manubach, amtierte dort - aus heutiger Sicht auffällig unauffällig - als Pfarrer genau zu der Zeit, als in Frankfurt der erste Auschwitzprozess (1963-65) zu Ende gegangen war und die studentische Protestbewegung sich zu artikulieren begann. (Zu deren wichtigsten Auslösern gehörte bekanntlich die Frage der Söhne und Töchter an ihre Väter: Was habt ihr in der Zeit vor 1945 getan - und gewusst?) In der Amtszeit von Karl Dungs wurde die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft durch das Buch eines Frankfurter Psychoanalytiker-Ehepaares aufgerüttelt: Der Titel "Die Unfähigkeit zu trauern" von Alexander und Margarete Mitscherlich war 1967 erschienen. Bis heute, wenn auch inzwischen etwas kritischer kommentiert, gilt es als das bahnbrechende Buch, das im Blick auf die Verbrechen der NS-Zeit das Schweigen brach.

Über die Amtszeit von Dungs in Manubach gibt es z.T. deutlich voneinander abweichende Angaben, meist wird als Zeitraum 1965-69 angegeben, mal wird als Amtsbeginn das Jahr 1964 genannt. In einer neueren, von der Evangelischen Kirche im Rheinland veröffentlichten Publikation schreibt Holger Weitenhagen in einem Kapitel über Karl Dungs, dieser sei "noch bis zu seinem Ruhestand 1971" Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Manubach gewesen.

Dank Pfarrer Hans Steffens (heute Pfarrer i.R.), mit dem ich bald nach dem Beginn meiner Recherchen Kontakt aufgenommen hatte, und nach Rücksprache mit dem Superintendenten in Koblenz konnten die fehlerhaften Angaben bezüglich der Pfarrer-Amtszeiten (und bezüglich der Eigenständigkeit und späteren Fusion von Kirchengemeinden) geklärt werden:

Karl Dungs trat demnach - nach der Wahl durch das Manubacher Presbyterium bereits Ende Dezember 1964 - am 15. Februar 1965 seinen Dienst an. Sein Ruhestand begann am 01. Februar 1971.

Nicht bereits 1969, sondern erst nach der Pensionierung von Pfarrer Dungs wurde die bis dahin eigenständige Gemeinde aufgelöst und mit Wirkung vom 1. Januar 1972 mit der Nachbargemeinde zur "Evang. Kirchengemeinde Oberdiebach-Manubach" zusammengeschlossen. Erster Pfarrer seit bzw. in der langwierigen Phase der Zusammenlegung war Pastor Hans Steffens. Er amtierte von 1969 bis 1977 zunächst als Nachfolger von Heinrich Voss (Oberdiebach), ab 1971 auch von Karl Dungs (Manubach), jedoch nicht als ordinierter Pfarrer, sondern als "Verwalter der Pfarrstelle", da er zu dieser Zeit noch Gemeindemissionar war.

Wie ist der - immerhin sechs Jahre lang - in Amt und Würden stehende Dungs als Pfarrer von Manubach in Erscheinung getreten? Möglicherweise spielte im Blick auf die Art seiner Amtsausübung neben der Tatsache, dass er in Manubach nicht sehr beliebt war, auch sein Gesundheitszustand eine Rolle: Laut Weitenhagen soll Karl Dungs in seiner Manubacher Zeit "gesundheitlich stark angeschlagen" gewesen sein.